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Inspiring. Circus. Arts.

Das Online-Journal Inspiring. Circus. Arts. blickt hinter die Kulissen. Wir erkunden Trends, Herausforderungen und kreative Prozesse in den Zirkuskünsten, regen Debatten an, stellen junge Talente und führende Experten der internationalen Zirkusszene vor. 

Zirkus Mond - Zirkus als Subkultur

Autorenbild: Daniel BurowDaniel Burow
Abendstimmung beim Zirkus Mond in Berlin (c) Zirkus Mond
Abendstimmung beim Zirkus Mond in Berlin (c) Zirkus Mond

Vorbei an den Gleisanlagen der Berliner S-Bahn, über einen unebenen Feldweg, passiert man das eine oder andere graffitiübersäte Fahrzeug, das seine besten Tage schon gesehen hat. Durch eine Tür im Maschendrahtzaun geht es vorbei an zu Bars umgebauten Frachtcontainern und Holzbaracken, bis man auf ein blaugelbes Zwei-Mast-Zirkuszelt zugeht, über dessen Kuppel ein Halbmond-Emblem prangt. Wer noch nie zu vor beim Zirkus Mond war, der fragte in den Anfangsjahren zumeist mehrmals nach dem Weg.


Inzwischen muss man an jedem Wochenende nur der Menschenmenge folgen. Denn im siebten Jahr seines Bestehens ist der Zirkusmond von der verrückten Idee zum Szenetreffpunt Berliner Artisten und zur festen Größe in der Hauptstadt geworden. Hier, wo sich Max Mohr und seine Freunde ihren Traum von der alternativen Zirkusidylle erfüllt haben, ist Zirkus nicht nur Show, sondern Subkultur.


Max Mohr als Zirkusdirektor in der Anfangsphase des Zirkus Mond 2018 (c) House of Rough Arts
Max Mohr als Zirkusdirektor in der Anfangsphase des Zirkus Mond 2018 (c) House of Rough Arts

Es ist eine Geschichte, wie sie sich wohl nur in einer Stadt wie Berlin schreiben lässt. In den wilden Jahren der Stadt, als es illegale Partys gab und die Clubkultur entstand, formte sich ein kleines Kollektiv von Artisten, darunter Max Mohr. Sie nannten sich die „Kinder des Mondes“ und gingen in verlassene Fabrikgebäude, um dort für eine Nacht eine Bühne zu errichten, alle Leute einzuladen und eine Show zu spielen, um mit dem Morgengrauen wieder verschwunden zu sein.


Es sollten Auftritte in Techno-Clubs wie dem szenebekannten Sisyphos oder unter freiem Himmel in Parks folgen. Eines Tages ging Max zu seinen Freunden vom Kreuzberger Kunstort und Club „Jonny Knüppel“, um sich etwas für eine Veranstaltung zu borgen. Die berichteten ihm von einer neuen Fläche in Prenzlauer Berg, die sie sich ansehen wollten. Ob das nicht auch was für die „Kinder des Mondes“ sei, fragten sie. So fand sich Max bei einer Begehung mit 20 Leuten auf der Brachfläche neben den S-Bahngleisen wieder und hatte die Eingebung: „Hier würde ich gerne ein Zirkuszelt hinstellen.“ Gesagt, getan: Sie kauften dem Jugendzirkus Cabuwazi, deren Gründer Karl Köckenberger er gut kannte, ein Zelt ab, planierten die bewucherte Fläche und bauten das Zelt auf. Der Zirkus Mond war geboren.


Das Zelt des Zirkus Mond steht neben den S-Bahngleisen in Berlin Prenzlauer Berg (c) Zirkus Mond
Das Zelt des Zirkus Mond steht neben den S-Bahngleisen in Berlin Prenzlauer Berg (c) Zirkus Mond

Heute finden hier jedes Wochenende andere Shows statt. Es ist ein Konzept, das sonst kein Zirkus betreibt, stellt Max fest. Und es ermöglicht zahlreichen Artisten aus der Berliner Szene, eine Auftrittsmöglichkeit zu finden. „Wenn du ‘ne Woche Leerlauf hast und hast ‘ne schöne Nummer, dann kannst du uns erreichen“, so bleibe es laut Max auch für sein Team immer spannend und abwechslungsreich. Es entstehen wilde Mischungen aus klassischen Zirkusnummern, experimentell-zeitgenössischen Produktionen und einem Hauch Berliner Alles-Ist-Erlaubt-Extravaganz.


Den Rahmen bilden zwei Showformate. Bei der Show „Des Mondes Varietä“ knüpft Max an die Ursprünge an und moderiert ein Nummernprogramm, immer mit einem vorher gewählten Thema als rotem Faden. Beim „Mond Cabaret“ entwickelt Co-Gründer Juan Migama jedes Mal eine Storyline und ein Skript, nach dem er für die Show Regie führt. Das aus Spanien stammende Multitalent ist als Show-Presenter und „Resident Clown“ mit seiner charmant-skurrilen Art längst zu einem Markenzeichen vom Zirkus Mond geworden. Außerdem gehören Maria Dedio, Hamudi Danz, Valerio Bonsignori und Marlen Voigt zum festen Team des Zirkus Mond.


Werbegrafik für "Des Mondes Varietä" (c) Zirkus Mond
Werbegrafik für "Des Mondes Varietä" (c) Zirkus Mond

Hinzu kommen junge Kollektive, die beim Zirkus Mond die Chance bekommen, ihre eigenen Shows aufzuführen. So sind etwa die „Barbaren Barbies“ regelmäßig Gast und das im vergangenen Jahr gegründete Kollektiv „Never Change a Running Circus“ aus Absolventen der Berliner Artistenschule feierte hier die Premiere seiner Show. Auch die Clown-Legende Leo Bassi kommt fast jedes Jahr.


Im letzten Winter wagte der Zirkus Mond erstmals, eine Show länger spielen zu lassen. Es gab einen Monat lang eine Weihnachtsshow – mit gutem Erfolg. Vielleicht soll an das Konzept in diesem Jahr nun mit der Halloween-Show angeknüpft werden. Beide Shows sind eigenproduziert.

 

Szene aus einer etwas anderen Weihnachtsshow (c) Zirkus Mond
Szene aus einer etwas anderen Weihnachtsshow (c) Zirkus Mond

Die Atmosphäre ist ungezwungen. Spielte man anfangs noch vor auf dem Waldboden aufgestellten Stuhlreihen, gibt es heute eine Tribüne, auf der neben Bänken auch Bistrotische und eine Bar Platz finden. Die vorderste Reihe wird von Sitzkissen auf dem Boden gebildet. Nach den Shows verwandelt sich das Zelt regelmäßig in einen Ort zum Verweilen, Tanzen, zum Austausch der neuesten Infos aus der Berliner Zirkusszene.


Man hört viel Englisch im Zelt, die Szene ist international – und inzwischen auch der Zirkus selbst. Es entstanden Ableger in Lissabon und in Guadalajara in Mexiko. Sie wurden mit Unterstützung vom Berliner Zirkus Mond von Freunden aufgebaut, denen man vertraut. Dabei wurde aus Deutschland nur Starthilfe geleistet, etwa für Lissabon ein Zelt angeschafft. Betrieben werden die Standorte völlig unabhängig. „Ich fände es schön, wenn wir den Samen der Subkultur über die Welt verteilen“, erklärt Max das Ziel. In Deutschland sei es einfacher, Geld zu verdienen, als andernorts. So wurden die Auslandsprojekte mit Einnahmen aus Berlin unterstützt.


Ein neuer Beginn - das Team des Zirkus Mond Lissabon vor dem Zeltaufbau (c) Zirkus Mond
Ein neuer Beginn - das Team des Zirkus Mond Lissabon vor dem Zeltaufbau (c) Zirkus Mond

Was als nächstes ansteht, darauf gibt ein Holzgerüst vor dem Zelt einen Ausblick. Hier entsteht eine Terrasse, die pünktlich zu den Sommermonaten eröffnen und als Treffpunkt vor den Shows dienen soll. Es ist ein offener Grill geplant, auf dem jeder mitgebrachtes Essen zubereiten kann, das Mond-Team bietet Getränke an. Eine neue Musikanlage und mehr Platz sollen dazu einladen, früher vor den Shows zu kommen. Um die Investitionen stemmen zu können, läuft gerade eine Crowdfunding-Kampagne (siehe Link unter dem Artikel).


So wächst der Traum weiter, auch wenn er unter einem ständigen Damokles-Schwert steht. Auch das ist eine typische Berliner Geschichte: Das Areal, das neben dem Zirkus Mond noch zwölf weitere Kollektive, von Lichtinstallationen bis Techno-Club, beherbergt, gehört inzwischen einem Investor. Der möchte bauen, konnte sich aber bislang nicht mit der Stadt einig werden. Ob die Unsicherheit ihn nicht an den Ausbauplänen zweifeln lässt, frage ich Max. „Wir machen’s einfach trotzdem, weil man nie genau weiß, wie lange es geht“, erklärt er seine stoische Grundhaltung, „wir müssen uns so verhalten, als ob wir für immer bleiben können, dann wächst es am besten.“


Die neue Terrasse entsteht. (c) Zirkus Mond
Die neue Terrasse entsteht. (c) Zirkus Mond

Langfristig hofft Max darauf, dass der Berliner Kultursenat irgendwann den Stellenwert des Zirkus Mond in der Berliner Kulturszene anerkennt und er eine permanente Fläche bekommt. Bis dahin lebt das „wilde Berlin“ an diesem Ort weiter wie nur noch an wenigen anderen in der Stadt.


 

Crowdfunding-Kampagne für den neuen Zirkusgarten:

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